In der Himmelfahrtswoche war ich zu Aufnahmen bei einem Pianisten, der am heimischen Flügel rund sechzig Jazz-Stücke einzuspielen plante. Einige Nummern klappten beim ersten Take, bei anderen brauchte es zwei, drei oder mehr. Ich hatte ein Paar Kleinmembran-Mikros (sE-Electronics 8 Nieren) in ORTF aufgestellt, und ging davon aus, dass es wahrscheinlich diese Spuren werden würden. Zur Sicherheit hatte ich auch ein Paar AKG C‑414B-ULS dabei und auf einem anderen Spurenpaar aufgezeichnet. Und als Grenzflächen dpa 4060 unter dem Instrument auf dem Parkett verklebt. Auch ein Paar Bändchen hatte ich dabei, aber als ich in den Aufnahmeraum kam, wurde mir klar, dass das eher nichts für die Bändchen ist.
Alles wurde mit 32 Bit und 192 kHz auf einen sound devices Rekorder aufgenommen. Am Nachmittag fuhr ich mit ca. 100 GB Daten wieder zurück nach Hannover. Die Musik musste dann ja in vielerlei Hinsicht durchgehört respektive gesichtet bzw. aussortiert werden. Wir hatten einerseits zu viel Material für die knapp 80 Minuten, die auf eine CD passen. Andererseits stellte sich die Frage, welche Mikros und welche Takes der Stücke es denn werden sollten.
Aufnahmetechnische Perfektion und musikalische Authentizität
Worüber ich zunehmend nachdenke, dass ist die Frage, worum es eigentlich bei Musik geht. Bei Live-Musik stellt sich weniger die Frage. Es geht um den Augenblick, ums Erleben. Bei Jazz geht es nicht um die perfekte Interpretation, sondern um die Spontaneität. Wie man die einfangen kann, das ist so eine Frage. – Ich bin ein großer Anhänger von Musik, die unter guten Bedingungen live aufgenommen wird. Also bitte gern im Studio, aber in einem Take, und falls mehrere Musiker spielen: Bitte miteinander.
Bei dieser Produktion waren durchaus auch »braune« Töne dabei, solche, die nicht wirklich passten. Aber es war echt und authentisch. – Da aber fand ich die sehr filigrane Durchzeichnung aller Details der Kleinmembran-Nieren nicht so passend. Es war zu »klassisch«, zu durchsichtig und zu sauber, und das ist diese Musik eben nicht. Die Großmembran-Mikros behielten akustisch etwas mehr Distanz, was dem Projekt gut tat. Für die Audio-Bearbeitung nutze ich gerne (insbesondere bei den Multi-WAV-Dateien aus dem sound devices Recorder) Reaper. Diese DAW ist schnell, klein (20 MB Download – unglaublich!), unglaublich effektiv. Hochauflösende Daten kann Reaper ganz selbstverständlich handhaben. Ich mag auch die Zoom-Handhabung sehr, da könnte sich Logic oder Audacity viel abschneiden. Und: Zoom ist unerlässlich, denn man bewegt sich ja ständig zwischen dem Detail (ein ersten Anschlag, dem knappen Fade-In am Trackstart) und dem Ganzen, teilweise eines gesamten Tages mit vielen Stunden Material.
Die dpa Kugeln in ihren Grenzflächen-Adaptern auf dem Fußboden unter dem Flügel hätte man auch nehmen können. Die klingen nicht nur relativ zu ihrer Größe (respektive Kleinheit) wunderbar, sondern auch unglaublich echt. Aber es wären Eingriffe wegen der Pedalmechanik des Flügels erforderlich geworden. Auch die nämlich wurde da hörbar. Insofern habe ich mich einfach für die AKGs entschieden. – Und dann begann das Aussortieren der Takes. In meinem Fall in Reaper. Unverzichtbar sind gute Notizen direkt bei der Aufnahme. Die helfen, anschließend viele Stunden des Durchhörens einzusparen.
Musik-Kultur?
Inzwischen ist die Muster-CD vom Musiker freigegeben, die Drucksachen sind fertig gedruckt, die CDs werden produziert. Ich denke drüber nach, wie sich die Kultur des Musikgenusses bzw. ‑konsums zueinander verhalten. Ist Musik ein Ereignis, zu dem man hingeht, sich entsprechend vorbereitet, anzieht, das Vorfreude freisetzt. – Oder ist es der Rhythmus unseres Workouts aus einem Streaming-Dienst?
Der Pianist sprach davon, dass er Vinyl (also die gute alte Schallplatte) liebe, und zwar nicht wegen der Klangqualität, sondern weil es ein Ritual sei: Wie eine Tee-Zeremonie. Man muss sich auf eine Plattenseite einlassen. Es braucht Ruhe und Aufmerksamkeit für die Musik. Das sei uns heute eher verloren gegangen. Ich fürchte, dass er da richtig liegt.
Nach der Auswahl der Takes geht es an Premaster, also daran, die Stücke in der richtigen Reihenfolge mit entsprechenden Pausen usw. hintereinander zu hängen und dann mit CD-Text, Startmarken usw. zu versehen. Das sieht man auf dem Artikelbild ganz oben.