Dieser Industriebau enthielt früher eine Siemens-Betriebsstätte. Anschließend (da war ich letztmalig drin) einen Musikclub »Tragwerk«. Das ist aber sicher auch schon über zehn Jahre her. Inzwischen ist das Nutzungskonzept sicher noch einmal überarbeitet. Ich liebe solche Gebäude. Denn sie sind anders als die heutigen Industriebauten eben nicht aus Fertigelementen zusammengefügt, sondern architektonisch geplant.
Auch Bauwerke kommen in die Jahre, und diese Jahre hinterlassen Spuren. Immer wieder wird umgenutzt, verändert, etwas erneuert, das sich nicht ganz zum Bestehenden fügt. Die Menschen, die hier gearbeitet und gelebt haben und heute noch leben, sie hinterlassen Spuren. Gelegentlich gibt es mit Titanweiß angebrachte Hinweise »LSR« mit einem Pfeil in den Keller (= »Luftschutzraum«), auch das ist lange Geschichte. Solche Gebäude zu betrachten, das liebe ich. Überhaupt mag ich Bilder, die auf den ersten Blick funktionieren, sich darin aber eben nicht erschöpfen, sondern viele Kleinigkeiten zu betrachten bieten.
Wenn es um führende Linien, um Diagonalen geht, um Gegensätze zwischen den Geraden der Architektur und den Naturformen der Blätter am Ast geht, ist das alles mit einem Blick zu erfassen. – Die Vilsa-Werbung aber, die Ventilatoren, die mitten in der Glasfenster-Front sitzen und die Geraden unterbrechen, die sind nicht sofort auffällig.
Mich spricht auf die Fachwerk-Gebäudeecke an, gerade im Kontrast zum Industriebau im Vordergrund und dem Elementenbau des Neubaus im Hintergrund.- Wenn ich an solchen Gebäuden vorbeikomme, dann sehe ich oft nur: »Hier gibt es etwas zu sehen« und ich versuche mein Bild bei der Aufnahme nach dem Offensichtlichen auszurichten. Mit dem 60 mm Weitwinkel-Objektiv an der Hasselblad sieht man stürzende Linien, denn ich musste ja die Kamera nach oben neigen. Immerhin habe ich mich bemüht, die einigermaßen elegant in die Bildecke laufen zu lassen. Vieles, das ich sicher gesehen aber kaum wahrgenommen habe, entdecke ich erst, wenn ich am Bild arbeite.
Einige photographieren etwas, andere bauen Bilder. Ich sehe mich in der Mitte. Nicht wie jemanden, der bloß »etwas« ablichtete (1:1), sondern ich komponiere, ich wähle aus, Licht und Schatten gebrauche ich, auch bei der Ausarbeitung hinterher. Andererseits bin ich keiner, der sich der inszenierten Photographie zurechnete. Ich käme nicht auf die Idee, zwei Monate lang die Kulissen für ein Bild zu bauen, die Masken der Models zu bearbeiten und anschließend ein oder drei Aufnahmen zu machen, die dann über Wochen zum fertigen Bild ausgearbeitet werden. Aber ich finde eindrucksvoll, was Tyler Shields diesbezüglich etwa macht.
Meine Bilder haben nicht den Ehrgeiz, Mode oder Briefmarken für einen Katalog zu reproduzieren. Mir geht es bei photographischen Bildern schon um meinen Ausdruck, meine (Bild-)Sprache. Insofern sind die Bilder eben keine Abbilder (von etwas oder jemandem), sondern sie sind Produkte meiner Verarbeitung. Die Begriffe »Impressionismus«, »Expressionismus« und »Naturalismus« passen nicht auf meine Bilder. Hinsichtlich der Bildsprache und der Motive, die mich ansprechen, sind wichtige Einflüsse für mich die »Straight Photography« der Gruppe f/64 einerseits und die »Neue Sachlichkeit« andererseits. – Wobei ich gerade überlege, ob die inzwischen nicht eher alte Sachlichkeit heißen müsste.
Das Nachdenken über Bilder ist eine Sache. Es bereitet mir Freude, auch theoretische Schriften zur Kenntnis zu nehmen. Aber: Das Machen ist etwas ganz anderes, deutlich intuitiver. Im Machen ergeben sich die Dinge, ohne dass ich da bewusste Entscheidungsprozesse durchlaufen müsste. Es ist wie bei der Musik: Bei Spielen sollte man spielen und nicht drüber nachdenken. Sonst aber hilft Nachdenken schon!