Die Straße ist eines der großen Theater der Neuzeit. Wir inszenieren uns selbst durch Kleidung, Haltung, Lektüre. Wir trinken und essen öffentlich, nicht um satt zu werden oder unseren Durst zu löschen. Das alles ist Teil einer Aufführung, deren Premiere die anderen, die Passanten und Beobachter, gerade miterleben können. Bei allen Kaffee-Modegetränken, mit Zimt und Milchschaum und viel mehr, geht es um Requisiten unserer Selbstinszenierung. Die lassen wir uns etwas kosten: 4–6 € sind wohl normal und an besonders ausgesuchten Plätzen auch darüber hinaus.
Flaneure, Touristen, Selbstinszenierer lieben Cafés und besonders Straßencafés, denn dort kann man sehen und wird gesehen. Während das Kaffeehaus eher Nischen bietet, in denen vertraute Gespräche einigermaßen halböffentlich geführt werden können, ist das Straßencafé (»draußen nur Kännchen«) einer der Höhepunkte für Photographierende, die sich als beobachtenden Teil des Geschehens verstehen. – Ohne sie bräuchte niemand die Aufführung, die Cafés wären leer. Allein aus Umsatz- und Arbeitsplatzgründen kann das niemand wollen.
Hier war ich in Amsterdam, einer meiner Lieblingsstädte, zugegeben. Die Stadt hat ein wundervolles Licht zu bieten (photographisch nicht zu verachten), das sich vom norddeutschen deutlich unterscheidet. Ich weiß nicht, ob ich mit dem Festhalten der Menschen in der Öffentlichkeit nicht viel zu weit gehe, denn: Sie inszenieren sich zwar, aber: Sie möchten doch eher im Augenblick der Aufführung überzeugen, beeindrucken oder zumindest vor den Kopf stoßen. Das aber für die Zukunft auf Film oder Chip, das ist nicht allen recht. Es ist zumal illegal.
Ich habe einige Zeit lang ganz darauf verzichtet, Bilder mit Menschen drauf oder gar von Menschen anzufertigen. Auftragsarbeiten mache ich keine. Andererseits ist mir bewusst, wie viel wir verlieren, wenn wir auf die Bildnisse von Menschen verzichten. Also bemühe ich mich, niemanden bloßzustellen, niemanden zu verunglimpfen oder herabzusetzen. Wohl aber zu zeigen mit einem Blick, dem die anderen sympathisch sind. Wenn jemand sich in meinen Bildern wiederfindet und das nicht möchte, bitte ich um Nachricht und räume dann umgehend das Bild weg. Mit mir kann man reden, man muss nicht Gerichte bemühen. Und ich betone: Mir sind die Menschen sympathisch. Mir liegt an den anderen. Wenn ich jeweils eine Einwilligung einholte, wären diese Bilder nicht möglich.
Aufgenommen mit Zeiss Ikon ZM und Rollei RPX-100 in Amsterdam.